Liebe auf den ersten F.

Dem möglicherweise demnächst in London erscheinenden Edel-Porno-Magazin LONDON PORN habe ich gestern Vormittag in Gedanken ein telefonisch geführtes Interview zur anstehenden Übersetzung meines Romans „Passionsspiele“ („The Passion Play“) gegeben. Die Interviewerin hat mir die Fragen auf Englisch gestellt und ich habe sie auf Deutsch beantwortet. Hier eine Passage aus der Transkription der gedanklichen Aufzeichnung des mental geführten Telefonats:

LP: You seem to have a rather, if I may say so, dirty imagination, which you then project onto protagonists like your Dorothea Traumann in the Oberammergau novel „Passionsspiele“ – „The Passion Play“ -, which was published in German a few weeks ago.

LR: In den „Passionsspielen“ ist Dorothea Traumann nicht die Protagonistin, sondern eher eine Nebenfigur, allerdings eine mit guter Figur und recht markanten, ins Pornographische spielenden Zügen, das haben Sie richtig erkannt. Mit meiner Fantasie im üblichen Sinn hat das nicht viel zu tun. Das ist rein sprachlich und erst im Nachhinein, wenn überhaupt, mit bildlichen Vorstellungen verbunden.

LP: Could you explain this in more detail?

LR: Nach einer Impuls gebenden Anfangsformulierung, irgendeiner auf mich animierend oder sagen wir ruhig aufreizend wirkenden Wortfolge – manchmal sind es auch zwei, drei Sätze – ergibt sich das, was Sie meine dirty imagination, meine schmutzige Fantasie nennen, während ich weiterschreibe wie von selbst. Und wenn ich dann mal drin bin, komme ich ganz von selbst vom Stößchen aufs Höschen aufs Schößchen und so weiter und so fort. Sie verstehen was ich meine.

LP: Not quite yet. Would you give our readers an example?

LR: Gerne. Da gibt es doch diese Szene, in der Dorothea nach mehr als zwei Jahren den Protagonisten Tobias Trost wiedertrifft. Sie übernachten dann zusammen in einem Hotel in Garmisch-Partenkirchen. Nachdem sie bei ihrer Wiederbegegnung zunächst nur verbal aktiv gewesen sind, geht es nun auch körperlich zur Sache.

LP: I notice that your speech takes on a sexual tone as you try to explain to me how sex comes into play in your novels.

LR: Ja, Sex fängt nicht dort an, wo die Sprache aufhört, sondern wo die Sprache erotisch zu schwingen beginnt. Bei mir ist das jedenfalls so.

LP: Also in your private life or only in the novel?

LR: Wenn ich jetzt sagen würde: „Sie könnten ja als horizontal investigative Journalistin einmal versuchen, es herauszufinden“ – nicht besonders einfallsreich, ich geb’s zu -, würde ich sehr wahrscheinlich nicht mit Ihnen im Bett, aber vielleicht in meinem nächsten Roman landen. Ist Ihre Frage damit beantwortet?

LP: What you’re saying is: What works in a novel doesn’t necessarily work in real life? Why not? Because this kind of contact requires a correspondingly verbally accessible counterpart?

LR: Erstens das, und zweitens bin ich nicht der Kairos-Typ, dem im entscheidenden Moment das passende Zauberwort immer schon auf der Zunge gelegen hat, sondern ich bin der, dem erst im Nachhinein einfällt, was er hätte sagen wollen, sollen, können, müssen, dürfen. Deshalb bin ich wohl auch Schriftsteller und nicht Felix Krull oder sonst ein Hochstapler oder Heiratsschwindler geworden.

LP: Please allow me to not entirely believe you. But I interrupted you earlier. You wanted to explain how, in a scene from „The Passion Play,“ Dorothea chatted Tobias Trost up into her hotel bed, if I may put it that way – in German you might say: wie sie Tobias in ihr Hotelbett gequatscht hat.

LR: Yes, you may put it that way – aber es stimmt nicht ganz. Ich wollte erläutern, wie bei mir erotisch-sexuell schwingende Sequenzen entstehen. Die Hotelbett-Szene beginnt so, ich zitiere aus dem Roman Seite neunundsechzig:

„Bei mir war es jedenfalls Liebe auf den ersten, äh, fängt mit F an“, sagte sie. „Und als du dann plötzlich verschwunden warst, fragte ich mich, was schief gelaufen war. Hätte ich mich verbal vielleicht ein wenig zurückhaltender daneben benehmen sollen? Dabei hatte ich das Schatzkästchen mit den anstößigsten Stoßseufzern – bei jedem Stoß ein Seufzer – noch gar nicht aufgemacht.“ Dorothea griff zum Telefonhörer und bestellte beim Zimmerservice eine Flasche Sekt und zwei Gläser.

Die Initialzündung ging in diesem Fall von der bekannten Redewendung „Liebe auf den ersten Blick“ aus, was ich in „Liebe auf den ersten“ – und dann kommt das gleichfalls ziemlich bekannte F-Wort – umdichtete. Diese Verballhornung einer idiomatischen Wendung wollte ich schon immer mal irgendwo einbauen. Auf dem damit sprachlich eingeschlagenen Weg lag das mit den Stoßseufzern quasi schon am Wegesrand bereit und wartete nur darauf, von mir entdeckt und eingebaut zu werden. Ich bin gespannt, welche Lösung man für dieses Übersetzungsproblem bei der in Arbeit befindlichen englischen Fassung finden wird – der englische Titel „The Passion Play“ gefällt mir fast noch besser als „Passionsspiele“. Wird wohl ein Fall von „lost in translation“ werden, einer meiner Lieblingsfilme übrigens.

LP: Do you know the medical term spermatorrhea?

LR: Ja, den kenne ich. Wenn Sie so wollen, könnte man bei mir eine sporadisch auftretende verbale Spermatorrhoe diagnostizieren.

Dieses Interview erschien zuerst am 5. Juni 2025 auf meinem Telegram-Work-in-Progress-Kanal t.me/LotharRumold.

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