Postromantik oder Vormoderne?

Während der PC nach dem Zähneputzen noch ein paar Kniebeugen macht, lese ich weiter in Stifters vor 1857 geschriebenem „Nachsommer“. Der Autor lässt den gastfreundlichen Gutsherrn sagen: „Dort, wohin wir nicht sehen und woher die Wirkungen auf unsere wissenschaftlichen Werkzeuge nicht reichen können, mögen vielleicht Ursachen und Gegenanzeigen sein, die, wenn sie uns bekannt wären, unsere Vorhersage in ihr Gegenteil umstimmen würden.“

Eine zeitgenössische Metapher für dieses Dort lautet „dunkle Materie“ und „dunkle Energie“, womit der moderne Bescheidwisser und erklärte Anti-Romantiker seinem Nichtwissen unter erheblichem matheMAGISCHEM Aufwand einen geheimnislos gegenständlichen Schein zu geben sucht.

Stifters Gutsherr meint sein mit Hilfe der ihm zur Verfügung stehenden Messinstrumente nicht erreichbares Dort allerdings weder metaphorisch noch romantisch. Und falls dieses Dort hinter dem Horizont liegen sollte, dann ist nicht von einer metaphysischen, sondern von einer technisch überwindbaren geographischen Transzendenz auszugehen. Wer das Biedermeier eines Adalbert Stifter eher der Romantik als der beginnenden Moderne zuordnen möchte, sollte seinen „Nachsommer“ noch einmal einem Close reading unterziehen.

Wir sind eine qualitative Potenzen-Reihe

„Die Welt muss romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts als eine qualitative Potenzierung. Das niedere Selbst wird mit einem besseren Selbst in dieser Operation identifiziert. So wie wir selbst eine solche qualitative Potenzen-Reihe sind. Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es. Ohne vollendetes Selbstverständnis wird man andere nie wahrhaft verstehen lernen.“

Friedrich von Hardenberg (Novalis)

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