Eurynome oder: Die Ära des tanzenden Monotheismus

Der englische Schriftsteller und Mythenforscher Robert Graves (1895-1985) beginnt sein bekanntes zweibändiges Werk über die griechischen Mythen mit einem Kapitel über den Schöpfungsmythos der Pelasger. Ob es die Pelasger als Volk vor den Griechen mit eigener Sprache tatsächlich gab – nichts Genaues weiß man nicht.¹ Erwähnt werden sie jedenfalls sowohl bei Homer als auch bei Hesiod.

Eurynome (die Weithinwaltende), man betont die dritte Silbe, „rose“, wie Graves schreibt, „naked from Chaos, but found nothing substantial for her feet to rest upon, and therefore divided the sea from the sky, dancing lonely upon its waves.“ Da es neben ihr in dieser Phase des initial tanzenden Monotheismus weder Göttinnen noch Götter gab, schuf sie sich, indem sie den sie verfolgenden Nordwind zwischen ihren Händen formend hin und her rieb, in der Schlange Ophion einen ebenso paarungsbereiten wie zeugungsfähigen Gatten.

In Gestalt einer Taube legte Eurynome anschließend das „Universal Egg“, um welches Ophion sich siebenmal herumwand, so dass es schließlich entzwei brach. „Out tumbled all things that exist“: die Sonne, der Mond, die Planeten, die Sterne und die Erde mit ihren Bergen, Flüssen, Bäumen, Kräutern „and living creatures.“

Nachdem Eurynome und Ophion sich auf dem Olymp niedergelassen hatten, kam es zwischen ihnen zu einem urheberrechtlichen Streit darüber, wer die Welt geschaffen habe. Bei der handgreiflichen Auseinandersetzung zog Ophion den Kürzeren und Eurynome „banished him to the dark caves below the earth.“

An dieser Stelle verlasse ich den Text von Robert Graves und werfe noch rasch einen Blick in das von W. H. Roscher in den 1880er Jahren herausgegebene „Ausführliche Lexikon der griechischen und römischen Mythologie“. Der von Graves erzählte Schöpfungsmythos bleibt dort weitgehend im Dunkel einer „früheren Zeit“ verborgen. In dieser „hatte Eurynome mit dem Titanen Ophion die Herrschaft auf dem ’schneereichen‘ Olympos inne, aber sie mußten dem Kronos und der Rhea weichen und stürzten hinab in die Wellen des Okeanos; resp. in den Tartaros“. Der mit Machtverlust verbundene Absturz, der bei Graves nur dem eher männlichen Teil der seltsamen Verbindung widerfährt, wird bei Roscher zum geteilten Schicksal des ungleichen Paars.

Immerhin geht aus Roschers Lexikon hervor, dass mit dem „Herrschendwerden der Zeusreligion“ eine mythologische Geschichts- oder Geschichtenklitterung einhergegangen sein muss. Als Indiz für das ursprünglich hohe Ansehen, das Eurynome in der Ära vor Zeus vermutlich genossen hat, verweist Roscher darauf, dass es nach Pausanias (Reiseschriftsteller im 2. Jahrhundert n. Chr.) in der Nähe von Phigaleia (westlicher Peloponnes) einen altheiligen, aber schwer zugänglichen Tempel gegeben habe. „Das darin aufgestellte Bild sei mit goldenen Ketten zusammengehalten gewesen, und habe bis zu den Hüften die Gestalt einer Frau, von da ab die eines Fisches gehabt.“ All dies spreche, so Roscher, „für die alte Ophionsgattin“ und weder für Artemis, der man den Tempel zugeordnet hat, noch für die spätere Eurynome der Ära Zeus – aber das wäre dann noch einmal eine ganz andere Geschichte.

¹ Graves vermutet, es könnte sich bei ihnen um die neolithischen „‚Painted Ware‘ people“ handeln, die um 3500 v. Chr. aus Palästina kommend das griechische Festland erreicht haben sollen. Nach ihnen sucht man allerdings heute im Netz vergeblich.

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