Das Weiß der Birke

Ueber eine neue, fast benzoeartige, Substanz der Birken; vom Hrn Lowitz.¹ [1788]

Die kleinen weißen Flocken, welche auf der weißen Rinde des Birkenholzes erscheinen, wenn es in einer bestimmten Nähe an offenes Feuer gebracht wird, und die von Zeit zu Zeit verfliegen, sind eine sehr artige, weiße zarte Vegetation, die ich erst durch Zufall bemerkte, und sie dann durch Uebung schön und häufig sammeln lernte. Ich schloß sie zwischen 2 Glasscheiden, um dadurch ihr Zusammenfallen zu hindern. Sie ist wollenähnlich, und besteht bey genauer Betrachtung, aus lauter sehr zarten Spießchen. Ich lege zur Befriedigung der Neugierde, eine Scheibe mit dieser Vegetation bey. Hält man sie im Dunkeln gegen ein Licht, so erkennt man lauter kleine concentrische Ringe und Kreise in derselben.

Um diese Flocken zur chemischen Prüfung in einiger Menge zu bekommen, legte ich die weiße Birkenrinde in einen Kolben, und hofte die Flocken durch Sublimation, etwan wie Benzoeblumen, zu erhalten. Dis schlug aber fehlt, und ich erhielt blos die gewöhnlichen Produkte einer starken trocknen Destillation, sauer Phlegma und Oehl.

Ich stellte also mehrere Scheite von jungen Birken mit weißer Rinde, aufgerichtet, so nahe an ein sehr ruhiges Feuer, bis das Holz stark zu dampfen und die Rinde braun zu werden anfing; da denn nach etwan 10 Minuten die Flocken ziemlich zu erscheinen anfingen, die ich mit einem Papier öfters abnahm. Wenn keine Flocken mehr erschienen, nahm ich ander Holz u.s.f. Auf diese Weise sammlete ich in einem Tage ein offenes Glas voll, welches 1 Pf. Wasser hielt; die Flocken aber wogen nur etwan 8 bis 10 Gran. Wenn sie noch auf dem Holze sitzen, so führt sie die geringste Bewegung der Luft fort.

Einige Proben ergeben, daß keine andere Rinden, und von der Birkenrinde auch nur die weiße Oberhaut, diese Flocken geben. Die Materie derselben sitzt, als ein sehr zarter Staub, nicht nur auf der obersten Haut der Rinde, sondern zwischen allen ihren sehrt zarten Lagen, so daß man sie mit einem gefärbten seidenen Läppchen, als weißen Staub abwischen kann. Die abgewischten Häutchen bleiben bräunlich nach; daher dieser weiße Staub die Ursache ihrer blendenden Weiße zu seyn scheint.

Streut man die Flocken auf eine glühende Kohle; so verzehren sie sich, als Rauch, mit angenehmem Geruch. Auf einer Messerspitze ins Licht gehalten, brennen sie mit weißer Flamme.

In einem silbernen Löffel schmolzen sie bey starker Hitze eines Lichts, und ließen einen harzigen Rand nach. Mit Wasser lassen sie sich nicht wischen, und noch weniger lösen sie sich in demselben auf. Destilliert Wasser, in welchem 8 Gran Flocken lange gekocht waren, zeigte sich nachher gegen alle Hülfsmittel noch völlig rein. Mildes und kaustisches Laugensalz würkten nicht auf dieselben. Von Vitriolöhl wurden sie ruhig, aber bald aufgelöst. Diese Auflösung in Wasser getröpfelt, erstarrte, und die Tropfen wurden bald nachher weiß; auch ließen sie sich am Wasser mit dem Finger zertheilen. Essignaphte löste sie leicht auf. Beym Abdampfen blieb ein weißer Fleck nach.

Mandel- und eben so Terpentinöhl lösten sie auf. Eine Unze vom stärksten Weingeiste löste kalt nur 4 Gran, warm 6 Gran dieser Flocken auf; diese 2 Gran aber fielen beym Erkalten, als weiße zarte Härchen, zu Boden, und der Weingeist stand etwas gallerthaft darüber, ward aber durch Schütteln wieder flüßig. Schwefelleberauflösung trübte sich von dieser Solution nicht.

Es wurden 40 Gran Flocken trocken destilliert. Sie schmolzen erst; dann legte sich ein weißer Staub am Halse des Glases an, der aber verschwand, als sehr zähes Oehl ging. Es waren 5 Gr. wasserklares Phlegma und 18 Gran braunes wohlriechendes Harz übergegangen, welches sich auf Kohlen wie die Flocken selbst betrug. Die Retorte war stark angeschmaucht, und der Rest wog 6 Gran, die im Kalziniren 2 Gran Asche gaben. Salpetersäure löste sie zur Hälfte auf, und Vitriolsäure fällete sie aus derselben, als Selenit. Es scheint mir ein besonderes modificirtes Harz in der Gestalt eines Salzes zu seyn; weniger Aehnlichkeit hat es mit den flüchtigen brennbaren Salzen, welche sich in einigen ätherischen Oehlen zeigen.

Ich kochte auch 1 1/2 Quentch. der feinen weißen Birkenhäutchen mit viel Wasser aus, und erhielt 5 Gr. Extrakt; die Rinde bleib weiß. Diese wieder getrocknet, und mit 5 Unzen vom stärksten Weingeist warm ausgezogen, ertheilte demselben eine gelbliche Farbe, und die Rinde verlohr die weiße Farbe. Nach völligem Erkalten trübte sich die Tinktur, und gab einen weißen feinen Bodensatz. Die Tinktur ward eingetrocknet, und ließ 20 Gran einer harzähnlichen Substanz nach, die sich in den Prüfungen, wie die Flocken betrug; doch zeigte sie auch etwas gemeines Harz. Die flockige Substanz ist also ein Edukt, nicht Produkt der weißen Birkenhäutchen.

¹ In: Chemische Annalen für die Freunde der Naturlehre, Arzneygelahrtheit, Haushaltungskunst und Manufakturen. 1788,1

Strukturformel von Betulin (abgeleitet von „Betula“, dem lateinischen Gattungsnamen der Birke), das in abgestorbenen Zellen der Birkenrinde enthalten und für die weiße Farbe derselben verantwortlich ist.

Strukturformeln wurden erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts gebräuchlich, also rund hundert Jahre nachdem Johann Tobias Lowitz (1757-1804) seine auf der linken Seite von ihm selbst beschriebenen Untersuchungen durchgeführt hatte. Nach Wikipedia war es der Schotte Alexander Crum Brown (1838-1922), der im Jahr 1864 erstmals eine Strukturformel verwendete, „in der die Bindungen zwischen den Atomen durch Striche gekennzeichnet wurden.“

Türsteherin an der Tür zur Welt der Geister

Wie hier schon erwähnt, steht vor unserem Schlafzimmerfenster eine Birke, genauer gesagt: die oberen äußeren Äste einer Betula pendula pendeln vor den Scheiben hin und her.

Heute fand ich in Fred Hagedorns „Der Geist der Bäume“ den Hinweis, dass im sibirischen Schamanismus die Birke nicht nur der „Baum des beginnenden Jahres, des beginnenden Frühjahrs“, sondern der Weltenbaum selbst sei. „Sie wird als udesi-burchan, ‚Gottheit der Tür‘ geehrt, sie hilft dem Schamanen, in die Welt der Geister einzudringen, und – sehr wichtig – wieder zurückzukehren.“

Seit ich dies weiß, vergewissere ich mich am Morgen nach dem Aufstehen, dass die Birke noch an ihrem im wahrsten Sinn des Wortes angestammten Platz steht und ich mich somit noch oder wieder im gewöhnlichsten Hier und Jetzt befinde.

Statt Birke sag: Betula pendula, pubescens, humilis oder nana

Mein persönlicher Baum des Monats ist, wie kürzlich hier annonciert, die Birke. Als ich dies in meinem nicht mehr ganz jugendlichen Leichtsinn geschrieben habe, wusste ich noch nicht, dass man, wenn man in Mitteleuropa „Birke“ sagt und dabei auf einen Baum deutet, sehr wahrscheinlich ein Exemplar der Hänge- bzw. Warzenbirke (Betula pendula) oder der Moor- bzw. Haarbirke (Betula pubescens) oder der Strauchbirke (Betula humilis) oder aber, last not least, der Zwergbirke (Betula nana) meint – es sei denn, man hat schon bei der korrekten Gattungsbestimmung versagt. Generell gilt: „Die Gattung Betula ist mit 40 bis 50 sommergrünen Baum- und Straucharten ausschließlich auf der Nordhemisphäre verbreitet.“ So jedenfalls steht es in einer Publikation der Bayerischen Landesanstalt für Wald- und Forstwirtschaft (125 Seiten), die man von dieser Website freundlicherweise kostenlos als PDF-Datei herunterladen kann.

Worum es sich bei der im oben verlinkten Beitrag erwähnten Birke vor unserem Schlafzimmerfenster genauer genommen handelt? Ich tippe auf Betula pendula. Fortsetzung folgt.

Der Baum des Anfangs

Die Birke vor unserem Schlafzimmerfenster kommt uns von Jahr zu Jahr näher. Bald werden ihre feinen Äste die Fensterscheiben berühren, bei starkem Wind tun sie das, versuchsweise Kontakt aufnehmend, jetzt schon. Mein alter, bisher noch nie konsequent umgesetzter Plan, jeden Monat einer anderen Baumart meine besondere Aufmerksamkeit zu schenken: es ist an der Zeit, ihn zu verwirklichen. Und warum nicht mit ihr, der treuen Behüterin unseres Schlafs, warum nicht mit ihr und ihren Artgenossinnen den Anfang machen!

In seinem wunderbaren Buch „Der Geist der Bäume“ hat Fred Hageneder diesem „Baum des Anfangs“, wie auch er die Birke wegen ihrer Pionierqualitäten nennt („sie bereitet die Erde wie auch die Seele vor“), dieses Gedicht gewidmet:

Birke
Anmutigste Amme
von allem neugeborenen Leben
Unbesiegbare Beschützerin
vor unheilvollem Streben
Prinzessin des Lichts,
das Dunkel mit Freude erfüllend
Große Weberin
auf dem Stuhl von Mutter Erden
Zeig uns den Weg vom
Vermehren der Schmerzen
Zu harmonischem Leben,
mit Unschuld im Herzen
Das innere Kind nährend
und seinen Durst stillend
Es sind die Kinder,
die die ersten sein werden.

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